Einzelausstellung mit Noemi Pfister
kuratiert von Marlene Bürgi
Mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Kultur Basel-Stadt und der Oertli-Stiftung.
Noemi Pfister: Eternal Return
«Alles wird sich irgendwann so wiederholen, wie man es schon einmal erlebt hat, und auch diese Wiederholung wird sich unendlich wiederholen!» Mit diesem Satz leitet Milan Kundera einen der wohl meistgelesenen Romane unserer Gegenwart ein: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (1984) handelt während des Prager Frühlings um Gewalt und Frieden, um Liebe und Sehnsucht, um Fantasie und Poesie. Doch als Prolog zur eigentlichen Geschichte beschäftigt sich der tschechisch-französische Autor zunächst mit Nietzsches Konzept der «Ewigen Wiederkehr»: Ein in Ambiguität gehüllter philosophischer Gedanke, der das Dasein in endlos wiederkehrende Zyklen fasst und impliziert, dass sich das Universum sowie die gesamte Existenz und Energie in einer selbstähnlichen Form unendlich oft, jenseits von Raum und Zeit wiederholt und weiterhin wiederholen wird. Ein Gedanke, der aufgrund seiner Unausweichlichkeit bedrückend oder zugleich befreiend sein kann. Ein Gedanke, der nicht nur bezeichnend für den kontinuierlichen Nachhall weltgeschichtlicher Ereignisse ist, sondern sich auch in rein visuellen Bereichen als bedeutungsvoller Grundstein äussert. Die Malerei ist nicht zuletzt ein selbstreferentielles Genre. Sie schöpft bis heute immer wieder aus dem Fundus bestehender Werke, vorhandener Themen, Absichten und Motive, die aufgrund ihrer Immanenz und Aussagekraft auch in unserer Gegenwart wieder aufgegriffen, neu interpretiert, verbildlicht und damit aktualisiert werden: «Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins»*1
Vor einer rotbrauen Häuserreihe trifft eine Gruppe merkwürdiger Gestalten aufeinander: Verschiedene Gebärden des Entsetzens, der Beklemmung und Schaulust gelten dem Geschehen auf der Strasse. Ein Smartphone wird gezückt, Hände werden in die Luft geworfen. Die Vertikalität der stehenden Figuren wird durch das leuchtende Weiss der Leichentücher, die Querlinien der drei entschlafenen Körper gebrochen. Das grossformatige Gemälde von Noemi Pfister gibt der Ausstellung ihren Namen und bildet dessen programmatischer Bezugsrahmen: Eternal Return (2022) ist Werk und übergreifendes Konzept zugleich. Wie in vielen Arbeiten der Künstlerin verbindet das Gemälde historische sowie zeitgenössische Referenzen. Die Komposition der Figuren und Gesten im Tafelbild St. Sebastian betet für die Pestopfer (1497-99) von Josse Lieferinxe*2 spiegeln sich unmittelbar in Pfisters Werk. Während sich das 21. Jahrhundert mittlerweile in ein Zeitalter «vor» und «nach» der Pandemie teilen lässt, übersetzt sich das dargestellte Geschehen im Gemälde von Lieferinxe tatsächlich unschwer in unsere Gegenwart. Es entsteht eine visuelle und historische Analogie, die sechs Jahrhunderte überbrückt.
Noemi Pfister verbindet Elemente aus der Vergangenheit und dem Jetzt; sie führt vor Augen, dass sich die zeitgenössische Malerei und ihre Subjekte fortwährend auf bestehende Bilder beziehen und damit auf ihre eigene Geschichte oder ihr eigenes Bild-Sein verweisen; sie spielt mit Referenzen, klassischen Genres und unserem kollektiven Gedächtnis. Mal mit wissenschaftlichem Interesse, mal mit einem unbefangenen Augenzwinkern lässt die Künstlerin unterschiedliche Figuren, Formate und Techniken in ihrer Bildwelt und der hiesigen Ausstellung koexistieren. Aus der Stille erklingen in regelmässigen Abständen vier Stimmen, die im Kanon mit resoluter Bestimmtheit bejahen, dass alles so sein muss, wie es ist: «Es muss sein! Es muss sein, ja, ja, ja!»*3 Wir gehen rückwärts in die Zukunft und drehen uns dabei womöglich im Kreis. Das mag uns belasten oder beflügeln, doch im Rahmen ebendieser ideologischen Ambivalenz schafft Noemi Pfister im Rückspiegel der Vergangenheit ein bewegtes Abbild unserer Zeit.
1 Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Bd. 3, 1884.
2 Das Werk von Josse Lieferinxe entstand zwischen 1497 und 1499 als eines von acht dem Heiligen Sebastian gewidmeten Tafelbildern für den Altaraufsatz der Notre-Dame-des-Accoules in Marseille.
3 Ludwig van Beethoven, Vierter Satz des Streichquartetts op. 130, 1826.
(English)
“To think that everything recurs as we once experienced it, and that the recurrence itself recurs ad infinitum!” With this sentence Milan Kundera introduces one of the arguably most-read novels of our time: Set during the Prague Spring, The Unbearable Lightness of Being (1984) revolves around violence and peace, love and longing, fantasy and poetry. Yet, as a prologue to the story itself, the Czech-French author first explores Nietzsche’s concept of “Eternal Return”: a philosophical notion shrouded in ambiguity that conceives life in endlessly recurring cycles and implies that the universe, as well as all existence and energy, repeats itself and will continue to repeat itself in a self-similar form indefinitely, beyond space and time. A thought that might be both oppressive and liberating by virtue of its inevitability. A thought that is not only indicative of the continuous reverberation of historical events but also reveals itself as a significant cornerstone within the visual realm. Painting is ultimately a self-referential genre and to this day, it draws continually from the repertoire of existing works, subjects, intentions and motifs. Due to their immanence and expressiveness, they are revisited, reinterpreted, visualized and thus updated in our present: “Everything goes, everything comes back; the wheel of being rolls eternally.”*1
A crowd of odd figures meet in front of an auburn row of houses: various expressions of dread, trepidation and curiosity are aimed at the happenings on the street. A smartphone is flashed, while hands are thrown in the air. The verticality of the standing figures is interrupted by the bright white shrouds, the horizontal lines of the three deceased bodies. The large-format painting by Noemi Pfister gives its name to the exhibition and constitutes its programmatic frame of reference: Eternal Return (2022) is both a work and an overarching concept. As in many of the artist’s pieces, the painting combines historical as well as contemporary references. The composition of figures and gestures in the panel painting St. Sebastian Prays for the Plague Victims (1497-99) by Josse Lieferinxe*2 are echoed in Pfister’s work. While the twenty-first century has since been divided into an era “before” and “after” the pandemic, the events depicted in Lieferinxe’s painting do indeed translate effortlessly into our present. A visual and historical analogy is created that transcends six centuries.
Noemi Pfister links elements from the past and the present; she demonstrates that contemporary painting and its subjects continually refer to existing images and, thus, to their own history or pictorial being; she plays with references, classical genres, and our collective memory. Sometimes with scientific purpose, sometimes with an ingenuous wink, the artist allows different figures, formats, and techniques to coexist in her visual universe and in this exhibition. At regular intervals, four voices emerge from the silence, affirming with firm resolve that everything has to be the way it is: «Es muss sein! Es muss sein, ja, ja, ja!»*3 We move backwards into the future, possibly going in circles. This may burden or encourage us, but within the framework of precisely this ideological ambivalence, Noemi Pfister creates a vivid depiction of our time in the rear-view mirror of the past.
Marlene Bürgi
1 Friedrich Nietzsche, Thus Spoke Zarathustra, vol. 3, 1884.
2 Josse Lieferinxe’s work was created between 1497 and 1499 as one of eight panel paintings dedicated to Saint Sebastian for the altarpiece of Notre-Dame-des-Accoules in Marseille.
3 “It must be! It must be, yes, yes, yes!” [freely translated by the author]. Ludwig van Beethoven, Fourth movement of the String Quartet, op. 130, 1826.